Mehr “Achtsamkeit” soll vor Stress und Überforderung schützen. Ist das mehr als nur eine Mode?
Neue Haltung im Büro
Mehr „Achtsamkeit“ soll vor Stress und Überforderung schützen. Ist das mehr als nur eine Mode? VON ULRICH SCHNABEL
DIE ZEIT Nº 42/2013
22. Oktober 2013
Google machte den Anfang, ausgerechnet. Search inside yourself heißt das firmeninterne Meditationsprogramm, das 2007 gestartet wurde. „Suche in dir selbst“ – was klingt wie das Motto eines Kirchentags, wurde bei dem Internetunternehmen zu einem echten Renner. Über 1000 Google-Mitarbeiter haben den Kurs bislang absolviert, die Warteliste für das viermal im Jahr stattfindende Trainingsprogramm ist immer voll. Und seit in Forbes und der New York Times euphorische Berichte über die Wirkung der Selbsterforschung erschienen, zeigen auch deutsche Firmen Interesse.
Deshalb sitzen zwei Dutzend Unternehmensberater in einem schwäbischen Schlosshotel auf roten Meditationskissen und üben sich in Achtsamkeit, der „vorurteilslosen Beobachtung des eigenen Geistes“. Draußen zwitschern die Vögel, die Sonne spielt auf den Blättern großer alter Bäume, und jenseits des Parks von Schloss Heinsheim dehnt sich friedlich das Neckartal. Man könnte jetzt ins nahe Kurstädtchen Bad Rappenau spazieren, wo die Gartencafés mit Trollinger und schwäbischen Spezialitäten locken. Doch nicht um die äußere Idylle geht es den meditierenden Beratern, sondern um ihr inneres Geschehen. Als Teilnehmer eines Forschungsprojektes sollen sie nämlich die Frage beantworten helfen, ob und wie ein Achtsamkeitstraining ihren Berufsalltag verändert.
Denn „Achtsamkeit“ ist zum Modethema geworden, in der Wirtschaft ebenso wie in der Wissenschaft. Meditative Methoden, früher als Esoterik abgetan, werden zunehmend im Labor erforscht und als Mittel zur Geistesschulung ernst genommen. Selbst honorige Max-Planck-Direktoren wie Wolf Singer treten mittlerweile auf Konferenzen wie dem Mind & Life Symposium für Kontemplationsforschung auf, das kürzlich erstmals in Berlin stattfindet und auf eine Initiative des Dalai Lama zurückgeht. Achtsamkeit passt zum Zeitgeist – auch in Unternehmen. Aufgeschreckt durch die massive Zunahme von Burn-out-Diagnosen und psychischen Erkrankungen, setzen immer mehr Firmen auf Stressbewältigung. Wer unter steigendem Arbeitsdruck, digitaler Informationsflut und ständigem Zwang zu Multitasking leidet, braucht schließlich ein gutes geistiges Selbstmanagement.
So boomt der Markt der Stressratgeber und Entschleunigungscoaches. Doch viele der üblichen Angebote sind Strohfeuer. Ein Wochenende lang ist man begeistert, danach geht das Gelernte rasch wieder in der Alltagsroutine unter. In dem auf acht Wochen angelegten Achtsamkeitstraining geht es daher vor allem darum, den eigenen (Denk-)Gewohnheiten auf die Schliche zu kommen und sie nachhaltig zu verändern.
„Wenn wir achtsam sind, können wir unsere Aufmerksamkeit besser lenken; wir schweifen nicht dauernd ab und kreisen im Kopf weniger um die immer gleichen Themen“, sagt Chris Tamdjidi, der heute den Achtsamkeitskurs in Schloss Heinsheim leitet. Der smarte Mittvierziger war früher selbst Unternehmensberater, kam dann mit dem Buddhismus in Berührung und bietet heute als Geschäftsführer der Kalapa Leadership Academy spezielle Unternehmenstrainings an. Von deren Wirkung ist er so überzeugt, dass er gemeinsam mit dem Humanwissenschaftlichen Zentrum der Universität München eine der größten Studien zu diesem Thema in Angriff genommen hat. Insgesamt rund 250 Teilnehmer aus zehn Firmen sollen kommen und den Nachweis erbringen, ob sich Achtsamkeit auch im Unternehmensalltag auszahlt.
Eine dieser Firmen ist das Beratungsunternehmen Ifok, das heute mit einigen seiner Mitarbeiter auf Schloss Heinsheim ist. „Der Faktor Mensch ist schließlich unser wichtigstes Kapital“, erklärt Ifok-Geschäftsführer Jochen Tscheulin seine Motivation zur Teilnahme. Ihm gehe es darum, die „Selbstreflexionskräfte“ seiner Führungsmannschaft zu stärken, „damit mehr Raum für Kreativität entsteht“.
Die Methode, um diese Freisetzung zu bewirken, ist für hochtourige Geschäftsleute allerdings eine echte Herausforderung: Stille. Einfach einmal nichts tun und das eigene Denken beobachten – schon beim Gedanken daran wird so manchem ganz blümerant. Doch Chris Tamdjidi weiß, wie er seine Klienten zu nehmen hat. Per PowerPoint referiert er über Stressbewältigung und Meditationsforschung, zeigt Hirnscans meditierender Mönche und verweist auf Achtsamkeitstrainings bei Firmen wie Genentech oder eben Google. Auch die passende App kann er empfehlen: Der Insight Meditation Timer holt den Sound tibetischer Klangschalen aufs Smartphone, zeichnet Meditationszeiten auf und ermöglicht es, sich mit anderen Meditierenden weltweit zu verbinden.
Das kommt an. Selbst Rationalisten, denen jede esoterische Schwärmerei fremd ist, lassen sich auf die Erforschung des eigenen Geistes ein. Jacketts werden abgelegt, hochhackige Schuhe ausgezogen, Gürtel gelockert. Anfangs rutschen die Manager noch nervös auf ihren Meditationskissen herum, erst nach einem Gongschlag senkt sich Stille über die Gruppe.
Doch von wegen Ruhe im Kopf: In der äußeren Stille merkt man erst, was für ein Lärm im Oberstübchen herrscht, wie die Gedanken dahinrasen und unaufhörlich von einem Thema zum anderen hüpfen. „Unser Geist arbeitet ständig, aber wir sind uns nur selten bewusst, was er gerade tut“, sagt Meditationscoach Tamdjidi in das Schweigen hinein. „Schauen Sie zu, wie die eigenen Gedanken wandern – ohne sie zur Ruhe zwingen zu wollen.“ Pause. „Achtsamkeit heißt einfach: beobachten, was jetzt gerade geschieht, ohne es zu bewerten.“
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